Danke, OF-BU 891
Lieber Corsa, lieber OF-BU 891,
Nach fast 13 Jahren und mehr als 13 Erdumrundungen beginnen sich in diesen Tagen und Stunden unsere Wege zu trennen. Ich will dies zum Anlaß nehmen, Dir zum ersten und einzigen Mal zu schreiben. Ich weiß, daß Du ein Auto bist und kein Mensch, und ich weiß, daß Du diesen Brief nie lesen wirst. Aber nachdem ich mir immer nur vorgenommen hatte, an Deine Eltern zu schreiben, wende ich mich nun direkt an Dich.
In tiefer Dankbarkeit erinnere ich mich an die vielen schönen, gemeinsamen Erlebnisse sowie all die sehenswerten Städte, Regionen und Länder, die ich ohne Dich so nicht hätte kennenlernen können. Es ist schlichtweg unmöglich, sie alle aufzuzählen, deshalb seien hier stellvertretend nur die fünf markantesten Orte genannt.
- Der südlichste Ort: Einmal an die Adria und zurück - und das an einem einzigen Wochenende. Während manch einer 19 Tage in Lido di Jesolo verbringt, waren es für uns nur 19 Stunden. Es war in der Tat unser verrücktestes Erlebnis!
- Der höchste Ort: Was wäre unser Ausflug ans Meer gewesen ohne die Rückfahrt übers Timmelsjoch, wo wir nach einem Temperatursturz von 36 auf 3 Grad kurz vor Schließung der Mautstation ankamen und wo wir anschließend im Gefühle des Triumphs zu den Klängen von Maurice Ravels Bolero wieder talwärts fuhren. Wenigstens einen Zweitausender wollten wir besteigen - am Ende waren's 2509 Meter.
- Der nördlichste Ort: Einmal nach Inari - das war immer mein Traum, und dank Dir wurde er Realität. Erinnerst Du dich noch an die furchtbar kalte Polarlichtnacht in Sodankylä, von wo aus wir im finnischen Frühwinter nach Inari aufbrachen, um dann über 160 Kilometer Einsamkeit wieder Richtung Süden zu fahren? Und all die süßen Rentiere, die uns immer wieder auf den Straßen begegneten und denen wir zum Glück immer ausweichen konnten...
- Der westlichste Ort: Deine Jubiläumsfahrt zur halben Million führte uns über Hermeville en Woëvre in die Normandie und die Bretagne, bis hin zum Pointe Saint-Mathieu, so weit im Westen Frankreichs, wie's kaum westlicher geht. Und es gab für uns nichts schöneres als die unzähligen, schmalen routes côtières - je kleiner, desto besser.
- Der gefühlt östlichste Ort: Unsere letzte große Reise ging in und vor allem durch das unbeschreiblich schöne Estland, wo es im tiefsten Osten in der Nähe des Peipsijärv für einige hundert Meter durch russisches Hoheitsgebiet ging, und wo ich es nicht wagte, anzuhalten und den Fuß rauszustrecken. Ach, diese wunderbar staubigen, endlosen Straßen, wie werde ich sie ohne Dich vermissen...
Ich will Dir nicht nur für alles danken, was wir erleben durften, sondern auch meine Bewunderung für Deine Leistungen zum Ausdruck bringen. Hättest Du bloß diese Anerkennung mitbekommen, die Dir immer zuteil wurde, wenn man von Deinen mehr als 547.000 Kilometer hörte. Und auch Deine Bescheidenheit war sagenhaft, unvergeßlich jene legendäre 900 km-Tankfüllung, mit der Du einen Verbrauch von 4.60 Litern erreichtest. Wie hattest Du das bloß geschafft? Wird mir das jemals jemand glauben?
Dieser Brief wäre nicht vollständig, wenn ich mich zuletzt nicht auch bei Dir entschuldigen würde. Entschuldigen dafür, daß ich in den ersten beiden Wochen unserer gemeinsamen Zeit Dich ignorierte, ja sogar boykottierte, und selbst einen quälend langen Weg nach Würges mit dem Zug statt mit Dir zurücklegte. Ich wußte nicht, was ich tat...
Ich will an dieser Stelle keine Trauerrede halten, stattdessen möchte ich mit einem einfachen, aber ehrlichen Versprechen enden:
Mein Dank sei ewig,
Dein Thomas
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