Tag 7

Sauna, Koli, Kuopio

Die lange Nacht blieb nicht ganz ohne Folgen: Gegen den dicken Kopf half die Kopfwehtablette und gegen den Rest die im Hotelzimmer befindliche Sauna (es war kein normales Zimmer, sondern eine Suite - wohl der Ausgleich für die Lage oberhalb des Pubs). Nach drei Saunagängen war alles ausgeschwitzt, und man konnte sich aufmachen, um das mittlerweile interessanter gewordene Joensuu näher kennenzulernen. Erste Station war die finnisch-orthodoxe Kirche, sehr schön von außen, innen eher schlicht, aber eindeutig orthodox, und nachdem eine sehr nette Theologiestudentin in bestem Englisch die Kirche erklärte und Fragen beantwortete, verließ man fasziniert das Gotteshaus. Erst später fragte man sich, wieviele Besucher wohl am Tag in die Kirche kämen... Am anderen Ende der Kirkkokatu befindet sich die lutheranische Kirche: Anders als die orthodoxe von außen eher schlicht, von innen aber beeindruckend: Nicht wie katholische Kirchen dunkel und ehrfurchteinflößend, sondern hell und angenehm, ein Ort zum Verweilen. Schöne Wandverzierungen, nicht übertrieben viel, so daß jeder Quadratzentimeter vollgemalt wäre, auch nicht zuwenig, sondern gerade so viel, daß es einen wunderbaren Gesamteindruck ergibt.

Zum Schluß deckte man sich noch mit Briefmarken ein, und das Finnische war in der praktischen Anwendung inzwischen soweit gediehen, daß man sich sogar traute, nach Sondermarken zu fragen. Schließlich gab's vor vier Jahren jene wunderbaren Viivi ja Wagner-Marken, und auch diesmal wurde man nicht enttäuscht: Briefmarken mit dem Motiv der Moltebeeren, passend dazu, daß man sich kurz zuvor auf dem Marktplatz eine Schachtel davon gekauft hatte.

Die Zeit war vorangeschritten, das Kloster Uusi Valtamo ließ man ausfallen, so daß das einzige Ziel des Tages die Koli-Berge waren - angesichts der kurzen Nacht sicher eine kluge Entscheidung. Auf dem Weg zum nördlichsten und östlichsten Punkt des Finnlandurlaubs begriff man die Faszination, mit dem Auto durch Finnland zu fahren, und die Unfähigkeit, dies in Worte zu fassen. Einsamkeit? Ja, nein, ungefähr, eher nicht, denn auf der Staatsstraße waren genügend Autos unterwegs. Ja, das ist es: Keiner überholt oder drängelt, jeder will für sich sein - und bei sich selbst merkte man es auch: Man hält zum Vordermann doppelten oder dreifachen Abstand, hundert Meter mindestens, ein Segen.

Was folgte, kann noch weniger beschrieben werden: Die Koli-Berge, der Inbegriff des finnischen Nationalgefühls, mit jener unbeschreibbaren Gemütslage, die einen ergreift, wenn man über den zweihundert Höhenmeter tiefer liegenden See Pielinen die Augen schweifen läßt. Und um diesen Mythos nicht zu entzaubern, seien hier nur jene Stichworte genannt, die im Gedächtnis unvergeßlich gespeichert sind: Akka-Koli, die Moltebeeren, die Japanerin, der Akkordeonspieler, die Abgeschiedenheit, die Mücken, der Wasserfall, die immer länger werdende Wanderung, die Kunst im öffentlichen Raum, Ukko-Koli.

Derart ergriffen, gar taumelnd vor Eindrücken, schipperte man auf der Landstraße gen Kuopio, der achtgrößten Stadt des Landes. Eine neue Erfahrung sollte auf die Reisenden warten: Ein ausgebuchtes Hotel, also weiter, ein zu teures Hotel, also Verhandlungssache: Man wurde nach dem Preis gefragt, den man bereit wäre zu zahlen, und sparte so immerhin ein Viertel der Kosten ein. Wissend, daß es nicht wieder ein langes Nachtleben geben könne, ging man nur auf eine Pizza und zwei Bier in die Stadt, wo einem bewußt wurde, was Städte wie Joensuu und Kuopio von deutschen (Groß-)Städten unterscheidet. Die Menschen geben sich, wie sie sind, nix mit Designerkram oder Schickimicki - und daß die jungen Mädels bei 12 Grad im kurzen Rock herumlaufen und dabei nicht mal frieren, ist mehr als nur ungewöhnlich...

Wie weit man übrigens schon im Norden Europas war, merkte man abends: Einen Sonnenuntergang mit Abendrot gibt es nicht, vielmehr eine lang andauernde Dämmerung, die irgendwann nach elf einsetzt, und nachts um eins muß man nur nach oben blicken, wenn man die Himmelsrichtung wissen will: Dort wo's eindeutig heller ist, ist Norden.


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