Tag 6

Savonlinna, Kerimäki und die Nacht von Joensuu

Warum morgens duschen, wenn nebenan der See ist? Und sooo kalt ist es auch in Finnland nicht, schließlich befinden wir uns ja noch im unteren Drittel des Landes. Vor der Weiterfahrt besuchte man noch den örtlichen Alko-Laden und kaufte sich eine typsich finnische Spezialität: Moltebeere-Likör - mal sehen, wie der schmeckt. Es ging weiter über noch kleinere Straßen als am Vortag, und alsbald bildete sich eine Kategorisierung der Straßen in Finnland heraus:

  • Kategorie 1: Staatsstraßen mit roten Nummern (valtatie), auf denen man schnurgerade mit Hundert durch die Landschaft fährt und alle zehn Kilometer an einem vorher angekündigten Blitzkasten vorbeikommt
  • Kategorie 2: Breite Nebenstraßen mit Mittelstreifen, die noch weniger befahren sind als die Staatsstraßen und die immer noch so weitläufig sind, daß man so gut wie nie bremsen muß
  • Kategorie 3: Sonstige Nebenstraßen ohne Mittelstreifen, in der Regel menschenleer, aber stets asphaltiert
  • Kategorie 4: Nicht aspaltierte Nebenstraßen, aber dennoch so gut befestigt, daß man mit Fünfzig vorwärtskommt; gelegentlich kleine, harmlose Schlaglöcher
  • Kategorie 5: Waldwege, die typischerweise zu einem abseits der Straße liegenden Haus (Briefkasten an der Hauptstraße), einer Sehenswürdigkeit oder einem Badestrand (uimaranta) führen
Es folgte die erste Fähre in Finnland, natürlich kostenlos und seltsamerweise mit einem anderen Auto zusammen, sowie ein Abstecher zu einer als Linnavuori (Burgberg oder Bergburg?) ausgeschilderten Sehenswürdigkeit, standesgemäß über eine Kategorie 5-Straße. Es war weniger die Burg oder die Reste hiervon, sondern der Berg, der zum Verweilen einlud: Rundherum Seen, und hinter jedem Baum sah die Landschaft schon wieder anders aus.

Gegen Mittag erreichte man Savonlinna, wo gerade die Opernfestspiele stattfanden. Und deshalb war die Stadt so überlaufen von Touristen, wie man es in dieser Einöde nun wirklich nicht erwartet hatte. Dennoch nahm man sich die Zeit für die Besichtigung der Burg Olavinlinna, und beim Kauf der Eintrittskarten begegnete man zum ersten Mal dem "Ole hyvä"-Effekt: Nicht nur, daß die Finnen sich freuen, wenn ein Ausländer auf Finnisch "Haluaisin kaksi lippua / olutta" ("Ich möchte zwei Karten / Bier") sagt, sondern wenn dieser Satz noch von einem "ole hyvä" ("bitte") abgeschlossen wird, kann man sich meist eines freundlichen Lächelns sicher sein.

Gestärkt durch Speiß und Trank vom Markt Savonlinnas fuhr man weiter zum Bergrücken Punkaharju, der aus der Luft sicher noch beeindruckender aussieht, und in das Dorf Kerimäki. Was einem in diesem ansonsten unbedeutenden Dorf erwartete, wußte man aus dem Reiseführer. In dem weitläufigen Ort angekommen, sah man zunächst nichts, aber nach einer Kurve stand sie dann vor einem: Die größte Holzkirche der Welt. Was für ein Klops! Eine Kirche für 3000 Menschen, bei Bedarf sogar für 5000, warum? Na ja, die Legende, daß da Fuß und Meter verwechselt wurden, trifft nicht zu, vielmehr war es die Absicht des damaligen Pfarrers, an Markttagen alle Marktbesucher gleichzeitig zum Gottesdienst begrüßen zu können.

Bevor es in Joensuu auf Zimmersuche ging, machte man noch einen Abstecher zum dortigen Flughafen. Klein, aber fein: Drei startende, drei landende Flugzeuge. Am Tag. Jeweils nach oder von Helsinki. Warum auch nicht? In der Stadt angekommen, fand man schnell ein Hotel. Zwar gab es nur ein Zimmer oberhalb des Pubs, in dem, so wurde man vorgewarnt, es bis ein Uhr nachts eine Karaoke-Show gäbe, aber das sollte egal sein. Nach einer ersten Besichtigung der Hauptstadt Nordkareliens, die einer eher ausgestorbenen Eindruck machte, ging man ins Hotelpub, um das ein oder andere Bierchen zu trinken, und als es auf ein Uhr zuging und es kein Bier mehr gab, beschloß man, noch mal kurz in die Stadt zu gehen. Vonwegen ausgestorben: Da saßen die Menschen in und vor den Kneipen, kalt war es kaum einem und die aufgestellten Atompilze wurden eigentlich nicht benötigt. Man kam mit Einheimischen ins Gespräch, die es kaum fassen konnten, hier deutsche Touristen zu sehen. Schon gar nicht mitten in der Nacht. Es ging in die Disco, dieselbe Verwunderung, und als man nach zwei Stunden noch zum Tanzen aufgefordert wurde, sah man bereits die Zeitungsschlagzeile vor sich: "Deutsche Touristen im Nachtleben von Joensuu gesichtet". Als die Nacht, die schon längst wieder Tag war, sich um vier dem Ende entgegen neigte, trottete man fröhlich vergnügt zum Hotel zurück.


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