Theater & Oper: Tagebuch 2009


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 TheaterstückA: Autor
R: Regisseur
K: Komponist
D: Dirigent
C: Choreograph
TheaterNoteKommentar
Januar Geld oder Leben R: Bettina Geyer Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus 8 Die Folgen einer krankheitsbedingten Spielplanänderung im Theater: Ich bekomme die Gelegenheit geschenkt, Neues zu entdecken und erfreue mich an eineinhalb Stunden Musik rund ums Thema Geld - trotz oder wegen der Finanzkrise und ohne schlechtes Gewissen wie im Kino.
Männerhort A: Kristof Magnusson
R: Caroline Stolz
Staatstheater Wiesbaden, Wartburg 6 Jetzt verstehe ich, wie Frauen sich fühlen, wenn sich Frauen über Frauen lustig machen. Ein Fall von gekränkter Eitelkeit?
Carmina Burana K: Carl Orff
R, C: Mei Hong Lin
D: Lukas Beikircher
Staatstheater Darmstadt, Großes Haus 8 Dein Leben ist so bunt, wie Du selbst bunt bist - auch wenn der Alltag grau ist oder schwarze Schicksalsboten Deinen Weg kreuzen.
Herr Puntila und sein Knecht Matti A: Bertolt Brecht
R: Manfred Beilharz
Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus 8 Kulissen werden geschoben, zwischen den Bildern wird gesungen, die Mächtigen sind böse und schlecht, die Armen derb und verkommen: Brechtsches Theater eben.
Der fliegende Holländer K: Richard Wagner
R: Philipp Stölzl
D: Friedemann Layer
Theater Basel, Grosse Bühne 9 Eine im wahrsten Sinne des Wortes traumhaft ins Bild gesetzte Inszenierung, die radikal die Grenzen der Interpretationsfreiheit auslotet.
Februar Die Kassette A: Carl Sternheim
R: Sibylle Broll-Pape
Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele 7 Wer lange genug verführt wird, wird selbst zum Verführer - und die Geschichte fängt wieder von vorne an. Wie soll sich da die Menschheit jemals ändern können?
La Traviata K: Giuseppe Verdi
R: Achim Freyer
D: Alexander Kalajdzic
Nationaltheater Mannheim, Opernhaus 9 Der Weg durchs Leben, der zugleich ein Spiegel ist, in dem man nicht immer nur den sieht, der man ist, sondern auch den, der man sein will: Eine im Bühnenbild wunderbar reduzierte und an Farbcodierungen reiche Inszenierung, in der am Ende dann doch die Gesellschaft über die vom Weg Abgekommene triumphiert.
März Pelléas et Mélisande K: Claude Debussy
R: Christof Nel
D: Andreas Stoehr
Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf 9 Für die erstaunlich vielen Zuschauer im Abo-Publikum, die bereits zur Pause die Oper verließen, war es wohl nicht das Richtige - und das, obwohl gerade die zahlreichen Szenenübergänge des "unendlichen Rezitativs" so interessant waren, in denen die Musik die Stimmung aufgriff und die Bühne die Handlung weiterschrieb, sie erklärte und interpretierte: So schnell wird man Mélisandes Versuch, ihr ungeborenes Kind loszuwerden, nicht vergessen. « Si j'étais Dieu, j'aurais pitié du cœur des hommes. »
Onkel Wanja A: Anton Tschechow
R: Martin Ratzinger
Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus 8 Langweilig. Alt. Häßlich. Krank. Seltsam.
Unglücklich.
Alle.
Werden wir Ruhe finden?
Das Schloß A: Franz Kafka
R: Tomas Schweigen
Schauspiel Fr., Schmidtstraße 8 Es gibt Gelegenheiten, die zu groß sind, um sie zu ergreifen - und wenn dann alles vorbei ist und es dunkel wird, traut man sich nicht, es als erster wahrzunehmen.
April Tristan und Isolde K: Richard Wagner
R: Dietrich Hilsdorf
D: Marc Piollet
Staatstheater Wiesbaden, Großes Haus 6 Wie kann ein erster Akt des Tristan nur so kalt sein? Was sollen diese an die Gestapo erinnernenden Gewaltszenen? Ein im Rollstuhl sitzender König Marke? Ein Bettenlager als Bühnenbild, bei dem man nicht weiß, ob es sich um ein Schiff, eine Bahnhofshalle oder ein Gefängnis handelt oder handeln soll? Selbst wenn im dritten Akt das viel zu laute Orchester sich etwas zurücknahm und es anschließend, positiv formuliert, viel zu diskutieren gab, so steht doch fest: Ich will zurück nach Dessau!
Genannt Gospodin A: Philipp Löhle
R: Ina Annett Keppel
Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele 6 Im Vergleich war Mörchen der sympathischere Aussteiger - zugegebenermaßen wohl deshalb, weil sein Denken und die Handlung im allgemeinen so schön einfach waren. Denn nicht immer ist man bereit, die komplex konstruierten Zusammenhänge eines an sich einfachen Themas verstehen zu wollen...
Parsifal K: Richard Wagner
R: Gerd Heinz
D: Hans Urbanek
Südthüringisches Staatstheater Meiningen, Großes Haus 8 In der konservativ gestalteten und an den Mannheimer Museums-Parsifal erinnernden Inszenierung gab es einige neue Aspekte der Interpretation. So etwa, daß (die recht tief singende) Kundry auch die an die Prophezeiung mahnende Stimme aus der Höhe war; oder daß die von Klingsor geschlagene Wunde des Amfortas' der Wunde glich, die er sich selbst zufügte, um zum Gral zu gelangen. Nicht zu vergessen das Schlußbild, in dem der Gral nicht mehr in den Händen einiger weniger ist, sondern als Reliquie allen Menschen Erlösung bietet. Nur ein Rätsel blieb zweifach ungelöst: Wo war am Ende Klingsor?
Mai Lohengrin K: Richard Wagner
R: Jens-Daniel Herzog
D: Bertrand de Billy
Oper Frankfurt 9 Getragen vom wunderbaren Gesang des Chors war in diesem Film, der auch Elsa hätte heißen können, alles vorhanden, was die Faszination Kino ausmacht: Gefühle (Elsa), Überraschungen (Ankunft des Schwans), Spannung (Gottesgericht). Daß das Ende so unerwartet unspektakulär war, zeigt, wie das Leben nach dem Traum weitergeht: Alles ist wie zuvor, nichts hat sich verändert.

Oder etwa doch?
Romeo und Julia A: William Shakespeare
R: Jens Poth
Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus 8 Es dauerte zwar einige Zeit, bis man sich an die der heutigen Jugend angelehnte Sprache und Gestik gewöhnt hatte, aber spätestens beim Zitat von Kinskis Erdbeermund war der Bann gebrochen und man konnte sich (auch als nun schon älterer Besucher) an der Inszenierung erfreuen. Wäre ja auch langweilig, die Klassiker immer nur traditionell darzubieten...
Faust A: Johann Wolfgang von Goethe
R: Hermann Schein
5 Der zweite Klassiker in einer Woche, und diesmal verzweifelte man an der Sprache des vorletzten Jahrhunderts. Wie können sich Schauspieler bloß einen Text für zweieinhalb Stunden merken, den der (un)gebildete Zuschauer so gut wie nicht versteht? Oder sollte man sich wie bei der Oper den Text vorher zweimal durchlesen...?
Juni Der fliegende Holländer K: Richard Wagner
R: Lorenzo Fioroni
D: Patrik Ringborg
Staatstheater Kassel, Opernhaus 6 Ein Luxusdampfer erleidet Schiffbruch, die Überlebenden finden sich auf einer einsamen Insel wieder, und während sie ihrer Rettung harren, degenerieren die männlichen Mitglieder der Gemeinschaft zu Steinzeitmenschen, die sammeln und jagen, am Lagerfeuer sitzen und aus teils rituellen, teils unerfindlichen Gründen ihre Frauen töten. Klingt schwachsinnig? Ist es auch.
September Carmen K: Georges Bizet
R: Peer Boysen
D: Catherine Rückwardt
Staatstheater Mainz, Großes Haus 8 Wie gut, daß man nicht von oppulenten Bühnenbildern und Kostümen erschlagen wurde, und wie wohltuend anders, daß nicht feurige Spanierinnen, sondern blondhaarige Mitteleuropäerinnen den armen Don José (und den Zuschauer) in ihren Bann zogen.
Oktober Nathan der Weise A: Gotthold Ephraim Lessing
R: Patricia Benecke
Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus 9 In einer dauerhaft um 15 Grad aus dem Gleichgewicht geratenen (Bühnen-)Welt beeindruckte die nachwievor faszinierende Genialität der Ringparabel - und dennoch war Nathan am Ende trotz seiner Weisheit allein, getrennt von allen.
Das Rheingold K: Richard Wagner
R: Martin Schüler
D: Axel Kober
Nationaltheater Mannheim, Opernhaus 9 Die beiden einzigen, die keine Schuld auf sich geladen hatten, führte erst der Tod Fasolts zusammen, und es keimte für kurze Zeit die Hoffnung auf, daß sich wenigstens Freia von ihren Zwängen befreien könne. Doch, ach wehe, schwach sind die Menschen, pardon, die Götter...
November Tannhäuser K: Richard Wagner
R: Rosamund Gilmore
D: Christof Prick
Staatstheater Nürnberg, Opernhaus 8 Zwar war die vom Dramaturgen beschriebene, gerade in Nürnberg problematisch formulierte Intention, wonach nur ein toter Künstler ein guter Künstler sei, kaum zu entdecken, dennoch rettete das surrealistisch anmutende Bühnenbild des dritten Aufzugs sowie der überragende Wolfram (wenngleich er aussah wie Legolas) die ansonsten eher langweilige Inszenierung. Wahrscheinlich unbeabsichtigt komisch übrigens das Ende des ersten Akts, als man meinen konnte, im Raumschiff Enterprise zu sein, wo auf Tastendruck Tannhäusers gleich alle in ein neues Leben gebeamt werden...


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