Kino: Tagebuch 2008



 FilmRegisseur KinoNoteKommentar
Januar 4 Wochen 3 Monate 2 Tage Cristian Mungiu Traumstern 9 Nicht mehr darüber reden? Über die Unterwürfigkeit. Über das Eingeengtsein. Über die Sprachlosigkeit. Über all das, was auch aufgrund der unkonventionellen Kameraeinstellungen selbst dem Zuschauer nicht mehr aus dem Kopf geht. Einfach vergessen?
Comrades in Dreams (OmU) Uli Gaulke Mal seh'n 8 Selbst wenn man der indischen und amerikanischen Kinokultur befremdet und im Falle Nordkoreas gar ratlos gegenübersteht, so verbindet doch die Kinobesitzer und Filmvorführer dieser Welt alle das seltene Glück, Freude an der Arbeit zu haben.
Bis zum Ellenbogen Justus von Dohnanyi Valentin 7 Sicherlich kein schlechter Film, zumal für ein Erstlingswerk, aber den schwarzen Humor sollte man dann doch den Dänen überlassen.
Wir sagen Du! Schatz. Marc Meyer 8 Daß auf der ältesten Kiste "Offenbach 1996" stand, war, wie die gesamte Handlung des Films, aber keine Anspielung auf mich, oder?
Self-Made Paradise (OmU) Christoph Schuch Filmforum 9 (1) Es ist nie zu spät auszusteigen. (2) Du mußt keinen Traum verfolgen, um jeden Tag glücklich sein zu können. (3) Wenn Du durch Spiritualität und Meditation Dein Glück findest, so sei es Dir gegönnt. (4) Du darfst Dein Glück auch darin sehen, daß andere sich freuen. (5) Wenn Du ein Paradies willst, dann erschaff es Dir!
Am Ende kommen Touristen Robert Thalheim Caligari 7 Etwas weniger aufdringlich und plakativ hätte die Botschaft des Films ja schon vermittelt werden können - und beispielsweise nicht mit einem 30 Sekunden-Pflichtdialog "Wie ist es eigentlich, in Auschwitz zu leben?" "Ich versteh' die Frage nicht." - Ich auch nicht.
Februar In der Hitze der Nacht Norman Jewison 8 Es war nicht so sehr der eigentliche Kriminalfall, der im Vordergrund stand, als vielmehr die Bloßstellung des alltäglichen Rassismus - zu einer Zeit vierzig Jahre vor Barack Obama.
Panzerkreuzer Potemkin Sergei Eisenstein 8 Ist ein Propagandafilm, der für eine gute Sache, in diesem Falle eine Revolution, eintritt, grundsätzlich abzulehnen? Oder gilt bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung? Kann der Film nachträglich schlecht werden, weil die Revolution irgendwann ihre Menschlichkeit verlor?
Dead Man Jim Jarmusch Karlstorkino 9 Langsames, morbides Dahinsiechen in wunderbaren Schwarz-Weiß-Landschaften mit endlos scheinenden Wäldern, um schließlich auf und im Wasser die (im wahrsten Sinne des Wortes) endgültige Ruhe zu finden. Finnland?
Staub Hartmut Bitomsky Mal seh'n 7 Jetzt ist man zwar über die wissenschaftlichen, philosophischen, künstlerischen und wirtschaftlichen Aspekte von Staub bestens informiert, aber eine neue emotionale Beziehung zu diesem unsichtbar Sichtbaren hat sich noch nicht eingestellt. Vielleicht erst beim nächsten Frühjahrsputz?
März Into the Wild Sean Penn Passage 7 Freiheit, Unabhängigkeit, Abgeschiedenheit, Einsamkeit: Wo fängt das Glück an, wo hört es auf?
No Country for Old Men Joel Coen, Ethan Coen 8 Wir müssen das nicht tun. Aber wir tun es. Ist nicht die gesamte Gesellschaft psychopathisch?
Vertigo Alfred Hitchcock Caligari 8 Wenn man dem Film eines nicht vorwerfen kann, dann, daß er nicht spannend sei - selbst wenn kein Mensch sich einen solch komplizierten Mordplan wirklich ausdenken würde. Man sieht sogar darüber hinweg, daß die Geschlechterrollen der 50er Jahre heute geradezu abschreckend wirken...
April Autumn Ball (OmeU) Veiko Õunpuu goEast, Alpha 9 Tulitikkutehtaan tyttö: Ein estnischer Kaurismäki! Wie wird Lottas Leben in zwanzig Jahren aussehen? Wird sie ihr Glück gefunden haben, oder doch auch nur Häppchen vergänglicher, sinnentleerter Freude?
Am Fluß (OmU) Eva Nejman goEast, Caligari 6 Ein Fluß als Metapher für das in der Erinnerung vorbeiziehende Leben? Mag sein. Jedenfalls schien, anders als am Vortag, während des gesamten Films die Sonne - von jenem reinigenden Platzregen am Ende einmal abgesehen.
Liebe und andere Verbrechen (OmU) Stefan Arsenijeviç goEast, Filmmuseum 8 goEast, Plattenbau Teil II: Gehen oder bleiben? Oder: Zeigst Du mir Deine Welt, zeig' ich Dir meine. Und alles an einem Tag.
Juni Die Frau mit der 45er Magnum Abel Ferrara Caligari 8 Über das Problem, nicht verstanden zu werden, weil man sich nicht verständlich machen kann - und wenn dann noch die Schicksalschläge des Lebens hinzukommen... Ach, Ms .45, wie können wir uns selbst helfen, ohne die Gesellschaft dafür zu bestrafen?
Once John Carney OAK Seeheim-Jugenheim 7 So desillusioniert kann man doch gar nicht sein: Ich will, daß auch mir endlich solche Filme gefallen! Zumal, wenn einem die Musik nicht mehr aus dem Kopf geht: I don't know you, but I want you.
Juli Unsere Erde Alastair Fothergill, Mark Linfield OAK Brentanobad 6 Dauerwerbesendung für das Markenprodukt Erde: Eine insgesamt wenig aufregende Darstellung des Themas "Fressen, gefressen werden oder nichts zum Fressen finden" mit zuvielen nichtssagenden Zeitrafferaufnahmen und einem alles kommentierenden Gelaber.
Football Under Cover David Assmann, Ayat Najafi OAK Mainz-Kastel 9 Gelungene Integration in Berlin-Kreuzberg? Frauenfußball im Iran? Es gibt Dinge, die gibt es einfach. Was in einem Spielfilm unglaubwürdig oder absurd erschiene, wird in der Dokumentation zu einer Bestätigung dafür, wie vielschichtig das reale Leben ist.
Jesus Christus Erlöser Peter Geyer Mal seh'n 8 Ein vierfaches Scheitern: Das System (gestern, heute, vielleicht auch noch morgen), die Gegner des Systems (deren Anspruch auf Toleranz nur für sie gilt), Kinski (der statt zu vermitteln nur polarisierte), Jesus Christus (der nach 2000 Jahren des Sterbens immer noch nicht verstanden wird). Und deshalb gilt: Gesucht wird Jesus Christus.
Adams Äpfel Anders Thomas Jensen OAK Wiesbaden 8 Vor zwei Jahren noch eine schräge Komödie, nun eher eine skurille Geschichte mit einem Schuß Tiefgang über die Fähigkeit von Menschen, ein neues Leben zu beginnen. Wie wird man den Film beim dritten Mal wahrnehmen?
2001: Odyssee im Weltraum Stanley Kubrick OAK Marburg 10 Eine technisch perfekte Filmkopie und eine überragende Freiluftakustik, dazu jenseits des Weltraums die Gewitterblitze im Marburger Nachthimmel: Eine meisterhafte Inszenierung eines Werks, das mit seiner Schlußszene und seinem musikalischen Finale wahrlich etwas Parsifalhaftes hat.
Das jüngste Gewitter Roy Andersson OAK Brentanobad 7 Warum sollte man den Film schlecht finden? Er zeigt, wie man in der Realität das Leben wahrnimmt: Viele einzelne Szenen, die sich teilweise wiederholen oder die irgendwie miteinander verbunden sind, und in denen man - ohne Schnitt - stets nur eine Perspektive haben kann: Seine eigene.
August Citizen Kane Orson Welles OAK Offenbach 8 "Und immer an die Menschen denken", möchte man Charles Foster Kane zurufen. Aber nicht um sie zu besitzen, zu kaufen oder zu beherrschen, sondern um sie als Individuen zu respektieren. Er kannte viele, und war gerade deshalb allein. Doch wieviel Schuld trägt er selbst daran, zu dem geworden zu sein, wer er war?
Ben X Nic Balthazar OAK Brentanonad 8 Getragen von der Hoffnung auf ein "gutes" Ende dauerte es lange, bis man unter den vielen Realitäten die wohl wahre erkannte: Ein Bahnhof, ein Zug, ein Schritt. - Oder: warum man sich nachts im Auto einsam vorkam und sich beim Blick in den Rückspiegel die Frage nach der Realität stellte.
Brügge sehen... und sterben? Martin McDonagh OAK Marburg 7 Schwarzer Humor stammt doch eigentlich aus England, aber wo waren das Makabre, Sarkastische, Zynische, Humorvolle? Und was hat eine Liebesgeschichte in einem Gangsterfilm verloren?
September Lenin kam nur bis Lüdenscheid André Schäfer Passage 9 Anders anders sein: Abends Mittelwelle auf 1386 kHz hören und nachts aufstehen, um Viktor Tichonow und seinen Mannen die Daumen zu drücken. Und wann wurde ich erwachsen?
November Die Geschichte vom Brandner Kaspar Joseph Vilsmaier Traumstern 8 Skurril wie sonst nur die Skandinavier - oder: Wer später stirbt, ist früher tot.
Black Box BRD Andres Veiel Passage 9 Tiefer Respekt vor den Mitopfern, die ihre Trauer und ihre Gefühle vor der Kamera nicht verbergen - da kann man Eichingers Ballerfilm über die RAF getrost ignorieren.
Willkommen bei den Sch'tis Dany Boon 8 Braunkack und Blödbommel, hääh? Oder: Warum man die gelbe Dose Ch'ti nun mit anderen Augen sieht.
Dezember Burn After Reading (OmU) Joel Coen, Ethan Coen Caligari 8 Der gewohnt (bitter)böse Blick der Coen-Brüder auf die amerikanische Gesellschaft. Fühlt sich hier jemand verfolgt?
Walkabout (OmU) Nicolas Roeg 6 In seinen psychedelischen Bildern und Klängen sowie der gezeigten Freizügigkeit merkte man dem Film das Entstehungsjahr 1971 deutlich an, was mit dem heutigen ästethischen Empfinden nur noch bedingt kompatibel ist.
Die Dritte Generation Rainer Werner Fassbinder Passage 1 Bei allem (Un-)Verständnis und aller Toleranz gehört dieser Film eher auf eine experimentelle Theaterbühne - oder gleich als Videoinstallation mit Dauergeräuschen in ein Museum für moderne Kunst: dorthin, wo man nach einer Minute einfach weitergehen kann.
Das Cabinet des Dr. Caligari Robert Wiene Caligari 9 Liegt der Wahnsinn in der Realität oder nur in der Wahrnehmung? In wessen Wahrnehmung? In der Wahrnehmung wievieler? Ist die Wahrnehmung nicht auch Teil der Realität? Fragen dreizehn Jahre vor 1933.
Wall-E Andrew Stanton Ried-Casino 7 Eine mittlerweile zu weit getriebene technische Perfektion und viel zu schnelle Schnitte störten die Freude an der Liebesgeschichte zwischen Roboter und Roboterin - da waren die musikalischen Zitate aus Kubricks Odyssee nur ein schwacher Trost.


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